Rückzug ist keine Option

Überwachung ist überall. Nun ist sie endlich auch in den Medien angekommen. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden wird man nicht mehr müde angelächelt, wenn man von Echelon und Geheimdienstlichen Eskapaden redet. Die Reaktionen auf diese veränderte Realität sind jedoch mehr als durchwachsen. Und es werden die falschen Prioritäten propagiert.

Zwischen NSA, GCHQ, BND und anderen Geheimdiensten wird unsere gesamte Telekommunikation überwacht. So kann man wohl zusammenfassen, was jetzt nach und nach dank Whistleblowern und Aktivisten ans Licht kommt. Wir müssen also davon ausgehen, dass keine Kommunikation mehr privat ist, außer, wir treffen besondere Vorkehrungen wie Verschlüsselung.

Der eigentliche Skandal neben der fehlenden Reaktion der Politik ist aber, dass in der öffentlichen Diskussion immer wieder die Pflichten verkehrt werden: „Bürger, wenn du nicht willst, dass deine Mails gelesen werden, so nutze Verschlüsselung!“ Wer seinen Standort nicht kontinuierlich verfolgbar haben möchte, muss sein Mobiltelefon eben abschalten, am besten auch den Akku rausnehmen – und auch WLAN und Bluetooth darf man nicht mehr nutzen, weil mittlerweile sogar werbetreibende Unternehmen diese Dienste für Tracking und Profiling missbrauchen.

Halt. Hier läuft doch etwas falsch. Der Bürger soll in der modernen Zeit auf das Smartphone verzichten, nicht mehr erreichbar sein, beim Mailversand zusätzlichen Aufwand betreiben, keine sozialen Netzwerke nutzen und am besten das Haus gar nicht mehr verlassen? Oder eben akzeptieren, dass das Smartphone getrackt, die Bewegungsdaten gesammelt, die Mails gelesen, Profile erstellt und von öffentlichen Kameras Gesichter erkannt werden? Mit der gleichen bizarren Logik könnte man von schwächeren Vekehrsteilnehmern wie Radfahrern und Fußgängern verlangen, doch bitte auf die Autos Rücksicht zu nehmen (oder Helme zu tragen). Helme, Protektoren und Polster für Fußgänger, damit die Autos schneller und rücksichtsloser fahren können.

Keine technische Diskussion oder Entwicklung wird hier eine angemessene Lösung finden. Eine Lösung kann nur politisch sein und muss aus der Breite der Gesellschaft unterstützt werden. Und der Onus darf hier nicht auf den Bürger oder den Nutzer gelegt werden, wie es gerade mit einer Rhetorik à la „Verschlüssele! Achte darauf, mit wem du dich umgibst!“ geschieht. Neben der konkreten Überwachung und den bei algorithmischer Überwachung zwangsläufig zu erwartenden Fehlern führt ein solches allgegenwärtiges Tracking auch zu einer Schere im Kopf. Eine freie Gesellschaft kann und darf das nicht akzeptieren. Die Forderung muss vielmehr vehement lauten: Überwacht uns nicht!

Spätestens seit den Anschlägen des 11. September leben wir in einer Kultur der Angst. Für diese Ängste gibt es gute Gründe: Ideologie, Profit, und Kontrolle sind die wichtigsten davon. Geheimdienste sind ähnlich wie der militärisch-industrielle Komplex ein Selbstzweck, ein Krebs in Gesellschaft und Politik. Wird er nicht früh erkannt und bekämpft, wuchert und metastasiert er. Um den Apparat am Leben zu halten, müssen immer neue Bedrohungen herangezogen werden, die weitere Ausgaben oder weitere Einschränkungen der Bürgerrechte legitimieren. Gleichzeitig wehrt sich dieser Organismus im Organismus gegen externe Bedrohungen: Aktivisten sind verdächtig, besonders wenn sie begründete Kritik äußern und verbreiten können. Nicht umsonst beschreibt die NSA ihre Gegner als „activists, hackers, twentysomethings“: Mediale Macht, die man nicht kontrollieren kann, ist die größte Bedrohung für eine Entität, deren Existenz davon abhängt, die öffentliche Meinung steuern zu können.

Genau darum muss die Öffentlichkeit eine klare Meinung entwickeln und zeigen. Eine, die sich nicht auf „nutzt kein Facebook“ oder „verschlüsselt eure Mails“ zurückzieht. So lange es noch eine Chance gibt, Geheimdienste & Co. parlamentarisch zu kontrollieren, müssen wir sie ergreifen. Die Alternative ist, dass der Krebs den politischen Körper auffrisst und dann mit ihm stirbt. Im Gegensatz zu Parasiten haben solche Wucherungen kein Interesse am Überleben des Wirtskörpers. Sie sind reine Egoisten. Uns aber sollte etwas an unserer Freiheit und Demokratie liegen.

Die Zivilgesellschaft ist der direkte Gegner der Geheimdienste. Daher müssen die Dienste stärker kontrolliert oder abgeschafft werden. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, Briefe an die Abgeordneten und die Presse zu schreiben, und deutlich zu machen: Ein Rückzug der Gesellschaft ist nicht die Lösung.

11 Replies to “Rückzug ist keine Option”

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  2. Google Analytics mit Staatsgewalt zu vergleichen, ist albern. Aber du propagierst ja sowieso, JavaScript abzuschalten.

  3. Du hilfst mit, deine Leser zu überwachen und schaffst eine Informations Asymmetrie (Google hat alle Analytics-Daten, du nur deine). Inwiefern hälst du das für moralisch vertretbar? Auch: Wenn du sie schon sammelst, weswegen veröffentlichst du deine Analytics-Daten nicht?

    (Nebenbei: Ich sehe Google als Geheimdienst, der sich erfolgreich als Werbe-Unternehmen vermarktet, aber das hat wenig mit dem Argument zu tun. Geh also nicht darauf ein; es lenkt meines Erachtens nach nur vom obigen Punkt hab.)

  4. @erlehmann Informationsasymmetrien entstehen bei jedem zentralisierten Dienst. Ich wüsste nicht, wieso ich mich da moralisch rechtfertigen müsste. Analytics-Daten zu veröffentlichen ist a) aufwendig, weil von Google nicht vorgesehen, und b) nicht besonders interessant. Oder kurz gesagt: Ich bin nicht du, sehe Google nicht als Geheimdienst, und finde deinen Derailing-Versuch albern.

  5. @erlehmann Da du eine dedizierte Meinung zum Thema JavaScript und Google hast, und diese meiner zumindest in Teilen entgegen steht, ist die Anmerkung relevant. Nicht jedes Ad hominem ist eine Fallacy.

  6. Ah, du deklarierst deine Überwachung also als alternativlos, daher moralisch irrelevant? Weswegen sorgst du überhaupt dafür, dass ein zentralisierter Dienst Besuche auf deiner Webseite mitloggt?

  7. Dass ich eine dedizierte Meinung habe, berührt meine Argumentation inwiefern?

    Du machst gerade das, wovor ich warnte: Dich mit meiner vermeintlichen Meinung statt meinen Nachfragen beschäftigen. Falls du das weiter machst, gehe ich lieber einkaufen anstatt noch etwas zu schreiben.

  8. Wenn ich kurz unterbrechen darf: Schöner Artikel! Auf den Kindergarten hinterher hätte ich verzichten können 🙂

  9. "Die Zivilgesellschaft ist der direkte Gegner der Geheimdienste": Das scheint mir missverständlich, oder ich verstehe es nicht. Kannst du das ein wenig erläutern – es klingt für mich so, als wäre das Ziel der Geheimdienste, die Zivilgesellschaft aufzulösen.

  10. Auch wenn es nicht wirklich helfen wird, einige Besucher würden sich bestimmt schon über den Zusatz von "_gaq.push([‘_gat._anonymizeIp’]);" freuen. Wie viel das überhaupt noch zählt auf dem aktuellen Informationsstand, darf dann jeder für sich selber entscheiden. 🙂

    Ich finde man lernt hier mal wieder gut, dass es noch andere Statistik Lösungen geben sollte, außer Piwik.

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