Google verkauft Motorola, Medien sparen Recherche

Google verkauft Motorola für 2,91 Milliarden USD an Lenovo, nachdem sie 2011 erst 12,5 Milliarden USD dafür bezahlt haben. Schlechter Deal, so sieht es auf den ersten Blick aus – fast 10 Milliarden Wertverlust in nur drei Jahren? Entsprechend stürzen sich die Medien und die Kommentare auch auf die Story. Jeder darf mal über Google und ihre Akquisepolitik lachen.

Was nur die wenigsten im Eifer des Gefechts bedenken, ist die Recherche. Oder wenigstens mal kurz darüber nachzudenken, ob Google, die generell doch recht erfolgreich sind und ein Heidengeld einnehmen, wirklich so bescheuert sein können.

Zwei rühmliche Ausnahmen gab es dann auch – die Kommentatoren bei Hacker News zum Thema waren wie fast immer zurückhaltend, bedacht, und gut informiert, und kurz darauf gab es dann auch einen gut recherchierten Artikel in der New York Times dazu. (Und ich wünschte mir, das gestern mittag direkt verbloggt zu haben, und allen deutschen Medien zuvor gekommen zu sein. Nun ja.)

Die kurze Rechnung ist diese

Google bezahlte 2011 $12,5 Mrd. für Motorola und kaufte dabei gleich noch $3,3 Mrd. in „Cash“ mit. Weil Motorola außerdem seit Jahren nicht profitabel war, hatten sie Steuervergünstigungen im Wert von $2,5 Mrd. zu ihren Gunsten, der „effektive“ Kaufpreis war also, vereinfacht gesagt, bei etwa $6,7 Mrd. Dann verkaufte Google fast sofort Motorola Home, die Set-Top-Boxen für Fernseher herstellen, für $2,35 Mrd., und machte mit dem Rest nochmal $1 Mrd. Verlust, der zu weiteren Steuervergünstigungen führte. Summa summarum kommt man mit den $2,1 Mrd. auf rund $10,5 Mrd. von den initialen $12,5 Mrd., die Google wieder „gutgemacht“ haben. (Und ja, die Berechnung ist nicht ganz exakt, weil noch nicht alle Zahlen veröffentlicht wurden, aber der Fehler liegt bei maximal knapp einer Milliarde USD. Also eine andere Größenordnung als „lol google kann nicht mit geld“.) Außerdem behält Google den größten Teil der Patente und lizenziert diese nur an Lenovo.

Beispiele

  • Horizont ist sich nicht zu schade für „stößt die 2012 für satte 12,5 Milliarden US-Dollar erworbene Mobility-Sparte von Motorola ab“ und ignoriert Motorola Home und die Patente komplett.
  • Die Süddeutsche Zeitung verwendet drei Absätze auf „lol google“, bevor sie dann aufklären, dass vielleicht alles doch gar nicht so schlimm ist.
  • Der Standard berichtete zwar lobenswert früh und vergisst auch nicht die Home-Sparte, rechnet aber die Cash-Reserven und Abschreibungen nicht ein. Dafür gab es aber heute früh einen Nachtrag.
  • Format.at erwähnt zwar die Patente und den vermuteten Samsung-Deal, spricht aber dennoch von „verscherbeln“ (und von 2001 statt 2011).
  • Telekom-Presse.at spricht vom „bei weitem schlechtesten Deal“.
  • Der SPIEGEL impliziert den Wertverlust, ergötzt sich aber immerhin nicht daran, ähnlich der Focus.

Wohlgemerkt, hier liegt ein Fall vor, wo fast alle nötigen Fakten in Datenbanken verfügbar waren. Trotzdem wird nicht so weit recherchiert – was in diesem Fall sogar okay sein könnte, wenn nicht sofort der Google-Beißreflex anspringen würde.

12 Replies to “Google verkauft Motorola, Medien sparen Recherche”

  1. Und: "on the intellectual property side, Motorola’s patents have helped create a level playing field"

    Es war von Anfang an ziemlich klar, dass es weder um Motorola die Firma noch um die Telefone geht, das war Nebengeschäft. Ich bin mir sicher der Deal jetzt hat Klauseln, dass effektiv die Motorola-Patente weiterhin zur Verteidigung von Android (bzw. den Angriff auf iOS) zur Verfügung stehen. Und das alleine dürfte Google die 10 Mrd. wert sein.

  2. @matthiasr Google behält wohl den größten Teil der Patente und lizenziert diese nur an Lenovo. Und sicherlich werden Lenovo/Motorola Google und Android weiterhin gewogen bleiben. Wenn der spekulierte Samsung-Deal wirklich dank Motorola-Patenten zustande kam und damit Android nicht softwareseitig fragmentiert wird, hat es sich für Google schon gelohnt. Und die Abschreckungswirkung des Patentportfolios ist nicht zu unterschätzen.

  3. @Felix [Engadget](http://www.engadget.com/2014/01/29/google-and-samsung/http://www.engadget.com/2014/01/29/google-and-samsung/) hat eine brauchbare Zusammenfassung, aber [9to5google](http://9to5google.com/2014/01/29/on-the-motorola-google-sale-and-why-it-has-samsung-written-all-over-it/) gehen auf die Politikspielchen ein. Die Theorie ist, dass der Verkauf von Motorola da ein wichtiger Faktor in der Waagschale war, Samsung dazu zu bringen, mehr Google Play zu integrieren.

  4. Als es hieß das Motorola an Lenovo verkauft wird, war meiner Meinung nach sofort klar, dass es sich nur um die Gerätesparte handelt und Google die Patente schön für sich behält. Ich war auch überrascht, dass so wenig darauf eingegangen wurde.

    Es war ja schon bei dem Kauf von Motorola Mobility eigentlich ziemlich klar, dass Google diese fast ausschließlich für die Patente gekauft hat. Auch der eher maue Anstoß ein "Motorola-Google" Phone zu bauen war eine klare Bestätigung dafür. Auch wenn Moto X/G mehr Google als Motorola sind, sind die Nexus Phones trotzdem nicht von Motorola gekommen.

    Ich denke das es wie auch bei Nest/DeepMind darum ging, die Unternehmen zu kaufen, bevor es jemand anderes tut.

  5. Die FAZ hatte es im Morgennewsletter auch schon richtig.

    Ansonsten ist es schon einigermaßen erschreckend, dass der gängige Zeitungsartikel über das Niveau eines durchschnittlichen Kommentars in einem Diskussionsforum nicht hinauskommt. Und die richtig guten Kommentare selbst die guten Zeitungsartikel schlägt …

  6. vielen dank fuer die schoene rechnung moeffju. ein schoenes beispiel, fuer das elend im deutschen journalismus und kulturbetrieb.

  7. Außerdem wird Google zum Teil mit Anteilen an Lenovo bezahlt, was bedeutet, das sie das nicht einfach an irgend wen verkaufen, sondern das eher eine Art Tauschgeschäft mit jemandem ist, den sie so gut finden, das sie Anteile von ihm halten wollen.

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