Worte mit E

Ich gehe durch den dunklen Abend eines goldenen Herbsttages und schaue die verschwommenen Lichter der Ampeln in der Ferne an. Die Luft ist kühl und klar und meine Daunenjacke sorgt dafür, dass ich groß, weich und warm bin, egal was der Wind davon hält. Das Leben ist gut, eigentlich, und da ist es wieder, dieses Wort mit E, aber es hält sich zurück, wiegt mich in Sicherheit. Einen Schritt vor den anderen, nicht zu weit nach vorne denken, erst recht nicht zu weit zurück, im Jetzt sein und den Moment genießen.

Der Späti strahlt schon von weitem aus großen Schaufenstern und vielfarbigen Leuchtschriften auf die Straßenecke. Zwei Sterni, 1,20€, hinter der Theke ist gerade niemand, ich stehe kurz das Getränkesortiment anstarrend im Laden und versuche, einen Plan für die nächsten Sekunden zu schmieden. Dann betritt ein Pärchen in schwarzer Kleidung mit Dreadlocks, Piercings und Armeerucksäcken den Laden, ihr Gespräch lockt den Verkäufer an, man erkennt sich, sie werden mit Namen begrüßt, ich kann mein Bier bezahlen und wieder in die Nacht entschwinden, ohne beim Bezahlen höfliche Konversation halten zu müssen.

Vor der Haustür parkt ein ThyssenKrupp-Firmenwagen sehr eng neben einem Smart ein, während ihn die Leute, die vor der Kneipe rauchen, insistierend anstarren. Dann fällt die Tür hinter mir ins Schloss.

So bin ich also da, und sie ist es nicht, sie ist im Ausland, sie ist in Bochum, sie ist auf dem Weg zu mir, sie ist in Hong Kong, sie hat sich von mir entlebt, sie ist in der Vergangenheit, ich bin dem thermodynamischen Zeitpfeil ausnahmsweise dankbar dafür, dass er so etwas wie Ordnung ins Universum bringt, oder zumindest eine brauchbare Annäherung daran in unserer Wahrnehmung manifestiert.

Eigentlich ist alles ganz einfach, außer es betrifft Emotionen. Es kann kein Zufall sein, dass alle diese Worte mit E anfangen, aber ich habe aufgegeben, mir Theorien auszudenken, die Wirklichkeit ist sowieso bizarrer, das führt nur zu Enttäuschung.

Der Abend wird gut, geradezu großartig, wie sich Abende halt so entwickeln, wenn man nichts plant. Wir reden, sie raucht auf dem Balkon, es läuft Helge Schneider und Death Metal, irgendwann sind wir nackt. Weil wir beide zu müde sind, um die ganze Nacht durch zu vögeln, konzentrieren wir alles auf die nächste Stunde, danach fehlt mir Haut an diversen Körperstellen, dafür habe ich an anderen Stellen Blutergüsse, so gleicht sich alles aus. Sie spült ihre Augen aus, ich wasche das Sperma aus dem Bart, wir schlafen ein, während wir darüber reden, dass wir nicht schlafen wollen.

Am nächsten Morgen wachen wir viel zu früh auf, weil das Licht sich um die Verdunkelungsvorhänge schleicht und weil die Nachbarn irgendetwas sehr wichtiges ausdiskutieren müssen. Sie zieht sich an, während ich im Bett liege, ich küsse sie auf die Stirn, dann bringe ich sie zur Tür, stehe nackt im Flur und schaue ihr hinterher, wie sie die Treppe herunter geht. Ich lege mich wieder hin, was sich bald als Fehler herausstellt, da mir erst die Verabredung für den Nachmittag absagt und ich dann eine Mail mit einem Scan meines Einkommensteuerbescheids bekomme, den ich erst mal falsch lese. So habe ich nicht nur keinen Grund mehr, zu einer bestimmten Zeit aufzustehen, sondern beim Gedanken an fast 7.000 Euro Steuerzahlung auch keine Lust, überhaupt jemals wieder aufzustehen. Als ich die Mail zehn Minuten später nochmal lese, sehe ich, dass der geforderte Betrag eigentlich nur etwa Tausend Euro sind, nicht schön, aber machbar. Erleichterung, aber nicht genug zum Aufstehen.

So vergeht der Vormittag, meine Laune sinkt mit meinem Blutzuckerspiegel, und dann fühle ich mich zu schlecht und zu schwach, um frühstücken zu gehen. Erst der Gedanke auf Kuchen mit Freunden treibt mich an, endlich aufzustehen und zu duschen, dann sitze ich unangezogen auf dem Bett herum und denke an Burger und daran, wie ein Freund schrieb, er „lehne die Kategorisierung von Nahrungsmitteln in Mahlzeiten ab“. Eine halbe Stunde später sitze ich an der Bar im Burgeramt und beobachte, wie immer wieder Menschen in den komplett vollen Laden kommen und mit einer betörenden Naivität nach Tischen für acht Personen fragen, nein, sie haben nicht reserviert, wie, draußen warten, hm, dann ziehen sie wieder ab.

Eine weitere halbe Stunde, ich bekomme einen wagenradgroßen Teller English Breakfast, alles ist gut. Während ich als letztes die gerade noch warmen Pommes esse, kommt ein Freund vorbei, wir reden über Psychologie, Beziehungen und Arbeit, ich bewundere die architektonische Leistung, die im Halloumi-Burger steckt, erwische mich ein paar Mal dabei, wie ich auf ein Smartphone schiele und packe es dann einfach weg, und die ganze Zeit läuft hinter uns der selbe Dialog ab, nein, sie haben grade keinen freien Tisch, die Wartezeit beträgt etwa 45 Minuten und man solle bitte draußen warten, wozu brauchen sie den Vornamen denn? Ach, dieses Berlin.

Dann irgendwann, endlich, Kuchen bei Louise, alles ist so nett dort, ich lerne Dinge über Motorräder, wir sprechen über konservative Firmen und schlechten Code. Diese ganze Arbeitssache ist eventuell eine Fehlentwicklung, wofür haben wir den ganzen Fortschritt eigentlich? Immerhin gibt es Schokoladentarte und Chocolat Chaud, es ist nicht alles schlecht; wenn man nicht zu viel darüber nachdenkt, fühlt sich alles ziemlich okay an, und dieser Strichpunkt ist nur für sie. Noch eine Pfefferminzsirupschorle zum Abschluss, dann heim, nochmal ’ne Stunde schlafen vor dem Abend.

Die Luft ist kalt und es riecht nach Winter.