Verkehr

(Wenn ich schon nicht über Sex schreibe, dann doch wenigstens über Verkehr.)

Die Hamburger Grünen haben vor kurzem ein Verkehrskonzept vorgestellt, und wenn ich mit grüner Politik häufig wenig anfangen kann: diesem Konzept kann ich mich fast uneingeschränkt anschließen, ja, ich würde es sogar erweitern.

Effektiv fährt in der Stadt niemand 50 km/h. Die durchschnittliche Geschwindigkeit liegt etwa bei 20 km/h (1, 2, 3), dazwischen ist man vor allem mit Beschleunigen und Abbremsen beschäftigt. Das ist nicht nur unglaublich nervig und führt zu mehr Road Rage als nötig, es ist auch sehr ineffizient: beim Beschleunigen wird am meisten Treibstoff verbraucht, beim Abbremsen wird bei den meisten Fahrzeugen die ganze Energie in Wärme umgewandelt – verschwendet also. Außerdem ist die Unfallgefahr größer, weil ein dauerndes Beschleunigen und Abbremsen die Gefahr von Auffahrunfällen, aber auch die Risiken von kurzer Unaufmerksamkeit erhöht. Übersieht man das Abbremsen des Vordermanns oder den Fußgänger an der roten Ampel, ist die Reaktionszeit bei 50 km/h bereits signifikant kürzer als z.B. bei 30 km/h. Und realistischerweise versuchen viele Autofahrer auch, die Phasen, in denen es langsam und stockend voran geht, durch höhere Geschwindigkeit dazwischen auszugleichen. Es wird also nicht auf 50 km/h beschleunigt, sondern man schießt mit 65–70 km/h durch die Stadt.

Die Grünen fordern aus diesen Gründen ein Tempolimit in Städten von 30 km/h, die Bundesgrünen bringen immer wieder ein generelles Tempolimit von 120 km/h ins Gespräch, beide Forderungen kann ich uneingeschränkt unterstützen.

Der Verkehr in der Stadt ist einem dauernden Wandel unterworfen. Ob Fußgänger und Pferdekutschen oder Kleinwagen und Straßenbahnen, ob Individualverkehr oder ÖPNV, jede Art der innerstädtischen Fortbewegung und jedes Zusammenspiel der Verkehrsmittel benötigt zugeschnittene Policies. Gerade in den Großstädten nimmt der Individualverkehr mit Fahrrädern massiv zu. Die Reality on the Ground wie auch die Verkehrspolitik sind aber noch auf einem mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Stand, in dem fast jeder Haushalt ein KFZ besitzt und fast alle Wege mit dem Auto zurück gelegt werden. Die Prioritäten im Ausbau der Verkehrsnetze galten also so gut wie immer den Autos und den Lastwagen: Mehr Autobahnen, mehr Spuren, längere Grünphasen für die Straße, Schnellstraßen im Stadtgebiet, mehr Parkplätze, mehr Parkplatzbewirtschaftung.

Langsam kommt die Erkenntnis an, dass dem motorisierten Individualverkehr, insbesondere mit Autos, nicht die Zukunft gehört. Klimawandel, Abgase, Lärm und der Fakt, dass beinah jeder volljährige Mensch in diesem Lande eine mehrere Tonnen schwere Waffe besitzen und führen darf, mit all seinen Folgen, haben zu einem langsamen Umdenken geführt. So gibt es einerseits den Impuls, den Autofahrern in die Tasche zu greifen – die eigentlich für den Erhalt und Ausbau der Straßen vorgesehenen Mittel werden gerne anderweitig eingesetzt und reichen sowieso hinten und vorne nicht – indem man zum Beispiel eine Maut für Innenstädte, für Schnellstraßen oder für Autobahnen propagiert. Oder man gibt dem Lobbyismus wenigstens den Anschein der Nachhaltigkeit und bezuschusst Hybrid- und Elektrofahrzeuge, wovon besonders die heimischen Autohersteller profitieren. Nachhaltige und der Lebensrealität der Städter angepasste Lösungen kommen erst langsam in den politischen Mainstream: Fahrradstraßen statt Fahrradwege, kein halbgares Umleiten des Fahrradverkehrs über holprige, schlecht gewartete, zugeparkte Wege, die von den tonnenschweren Gefährten auf der eigentlichen Straße kaum gesehen werden können. Eine Stärkung des ÖPNV durch Busbeschleunigung, höhere Taktung, und Erweiterung des Verkehrsmittelangebots z.B. durch eine Tram (in Hamburg: Stadtbahn). Verkehrsberuhigte Zonen können ausgeweitet werden, Umweltzonen gezielter eingesetzt (und durchgesetzt).

Bei der Forderung nach einer chipgestützten Innenstadtmaut kann ich bei den Grünen allerdings nicht mitgehen. Zu groß ist nicht nur das Risiko eines Datenschutzproblems, wenn alle Autos noch leichter zu verfolgen sind; frühere Versuche mit Maut in Deutschland haben uns vor allem gelehrt, dass größere technische Projekte immer im overengineerten Desaster enden. Man muss sich dazu nur Toll Collect ansehen, welches zwar T-Systems und den Kollaborateuren guten Umsatz beschert und so den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ geschmiert gefördert hat, aber noch lange nach dem Start mit technischen Problemen zu kämpfen hatte, nicht zuletzt wegen der hohen Komplexität im Vergleich zu anderen vorgeschlagenen Systemen. Eine Innenstadtmaut ist des weiteren aus sozialen Gründen zu kritisieren: Sie schließt primär Menschen mit geringem verfügbaren Einkommen aus, der Verkehr würde so noch mehr zu einem Zweiklassensystem: Auto fahren ist was für die Reichen, der Pöbel quetscht sich in Bus & Bahn.

Schließlich aber geht mir eine Innenstadtmaut nicht weit genug. Statt dessen plädiere ich für eine gänzlich autofreie Innenstadt. Ausnahmen gibt es außer für den ÖPNV nur für Krankentransporte u.ä. und für Lieferverkehr (sinnvollerweise zeitbeschränkt). Man kann überlegen, ob man auch Carsharing oder Taxis zulassen möchte, handelt sich damit aber eventuell wieder soziale Probleme ein. Die freien Straßen kann man dann für eine engere Taktung der Busse und mehr Busspuren nutzen, kann eine Straßenbahn einsetzen, und die Innenstadt so gleichzeitig ruhiger, freundlicher, stressfreier, ungefährlicher und besser erreichbar machen.

Überhaupt die Stadtbahn. In Hamburg ist die Umsetzung nach sehr langer Planungsphase nun schon mehrmals gescheitert, zuletzt in Hamburg-Nord, nicht zuletzt am Widerstand der Anwohner. Das hindert die Grünen nicht daran, eine stadtweite Straßenbahn vorzuschlagen, eine vermutlich nicht sehr realistische, aber durchaus interessante Forderung. Nicht zuletzt Berlin zeigt die Vorteile und die Akzeptanz einer Straßenbahn auf, die auch hinreichend große Teile des Stadtgebiets abdeckt. Im Zusammenspiel mit Bus, U- und S-Bahn ist so fast jeder Punkt „im Ring“ nur wenige Minuten von einer Haltestelle entfernt. Hamburg betreibt mit den Metrobussen 4, 5 und 6 bereits einige der meistgenutzten Busstrecken Europas und setzt dafür ob der hohen Fahrgastmengen sogar spezielle Doppelgelenkbusse ein. Gerade für diese Routen böte sich eine Straßenbahn an: Relativ günstig in Bau und Anschaffung, konsistenter und damit zuverlässiger als Busse, da weniger oder (im Idealfall) gar nicht vom Straßenverkehr abhängig, mit mehr verfügbarem Raum für Passagiere. Fraglich bleibt nur, ob man die Einwohner Hamburgs diesmal von einer Straßenbahn wird überzeugen können, oder ob die Durchführung wieder an Widerwillen und „Not in my back yard“-Ängsten scheitert.

Die Zeit für eine zukunftsgerichtete und damit nachhaltige Verkehrspolitik jedenfalls ist mehr als reif. Die Hamburger Luftqualität sinkt, die Feinstaubbelastung ist besonders entlang der Hauptstraßen über allen akzeptablen Werten. Die Stadt läuft nicht nur Gefahr, ihre Liebenswürdigkeit und Lebensqualität einzubußen, sondern auch, den richtigen Zeitpunkt für eine Umstellung der Weichen zu verpassen: Autos dürfen nicht länger auf Kosten aller anderen Verkehrsteilnehmer bevorzugt werden. Geänderte Realitäten müssen sich endlich in der politischen Entscheidungsfindung niederschlagen.

Am besten, Sie schreiben ihrem Bürgerschaftsabgeordneten noch heute.

3 Replies to “Verkehr”

  1. Da kann ich Dir zustimmen. Nur weiß ich nicht, warum Straßenbahnen eine bessere Alternative zu Bussen mit dedizierter Busspur sind.

    In meinen Augen sind Busse flexibler in der Streckennutzung, wahrscheinlich günstiger in der Produktion bei einer gleichzeitig höheren Anzahl an Herstellerfirmen und es sind schon eine ganze Menge Buss mit ausgebildeten Fahrern vorhanden.

    Eine sukzessive Nutzung umweltschonender Antriebstechniken würde den entsprechenden Technologien eine höhere Akzeptanz bei Autokäufern bescheren.

  2. Die Richtung stimmt. Jedoch sehe ich in den zurückliegenden Jahren fehlenden Mut, neue Themen anzufassen. Zu groß die Angst der Beteiligten, sich ins Lobby-gesteuerte Aus zu bewegen. Kosten – ein weiteres Totschlagsargument für Innovationen. Umweltschutz interessiert als Ziel auch nicht, wenn Autos betroffen sind (vgl. CDU vs. BMW).
    Hamburg bietet aber bereits jetzt großes Potential, welches mit vergleichsweise geringem Aufwand verkehrspolitisch entfaltet werden kann. Ampelschaltungen sind digital lösbar, abmontierte Radwegschilder, wo keine Radwege sind in Kombination mit weißer Farbe auf der halben Spur würden mancherorts beschleunigen.

    Zugegeben, mein Blick ist lediglich durch die Brille des Velo-Individuellen geworfen. Aber irgendwo muß man anfangen.

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