re:VISION! re:ACTION! – re:publica 2013

Die re:publica 2013 ist vorbei, seit ein paar Tagen schon, und alle schreiben ihre Reviews. Ich möchte daher gar nicht so in die Breite gehen, das meiste wurde schon mehrfach gesagt (z.B. bei Frau Honig), aber ein paar Dinge möchte ich unterstreichen, weil sie mir wichtig sind.

Am ersten Tag hatte ich sehr, sehr stark das Gefühl, als sei ich auf der re:publica 2009 gelandet. Natürlich in einer größeren Location und mit mehr Besuchern, aber thematisch? Netzneutralität, Drosselkom, Leistungsschutzrecht, Datenschutz, das klingt alles vage vertraut, und wir gehen die Themen auch noch mit den Mitteln von 2009 an: Eine Online-Petition, aber nicht einmal im offiziellen E-Petitionssystem, gegen die Pläne der Telekom? Avatar-Badges gegen das Leistungsschutzrecht? Blog-Banner für die Netzneutralität? Ich möchte gar nicht gegen die Aktivistinnen schießen, die die Aktionen gestartet und viel bewegt haben. Mich traf nur die Erkenntnis eher überraschend, dass wir trotz allen Gesellschaften und Vereinen und Parteien immer noch keine Netzlobby auf die Beine gestellt haben, und dieses „wir“ schließt mich natürlich mit ein, denn nach dem Höhenflug der Netzsperrenpetition dachte ich bei jeder neuen Bedrohung, dass auch das sich sicher lösen lassen würde.

Am Ende der re:publica hatte ich wieder etwas mehr Hoffnung. Es geht voran, mühsam zwar, aber stetig. Aber wir haben trotzdem ein gigantisches Mobilisierungsproblem. Clicktivism verleitet dazu, sich nach dem Ändern seines Twitter-Avatars befriedigt zurückzulehnen.

Ja, es ist nicht einfach. Unsere Themen sind komplex und werden immer abstrakter. Wie erklärt man jemandem, der nicht seit Mitter der Neunziger im Netz ist, was Netzneutralität ist und warum sie wichtig ist? Welcher Zeitungsleser versteht auf Anhieb das Problem mit dem Leistungsschutzrecht, wenn sogar viele „Digital Natives“ es nicht erkennen?

Um Politik zu machen, gibt es viele Möglichkeiten, aber grob kann man sie unterteilen in Aktivismus, wo man viele Menschen davon überzeugen muss, eine politische Forderung mitzutragen, und Lobbyismus, wo man auch unpopuläre Entscheidungen „durch“ bekommt, indem man nur oft genug mit Politikern im Café sitzt und an den richtigen Stellen ein paar größere Parteispenden einsetzt. Übertrieben? Vielleicht. Aber nicht ganz falsch. Und „wir“, dieses nebulöse „wir“, die „Netzgemeinde“, wir können momentan weder ausreichend viele Menschen mobilisieren, die mit Transparenten und Treckern Druck auf der Straße machen, noch können wir glaubhaft oder effektiv Lobbyarbeit leisten – wir haben keine Vollzeitlobbyisten, keinen direkten Draht zu den meisten Politikern, können keine großen Spenden platzieren, und können auch nicht mit dem Verlust signifikanter Wähleranteile drohen. Sogar bei recht guten Vorlagen wie der „Drosselkom“ bleiben wir eigentlich ganz nett und erklären ausführlich und balanciert, weshalb gewisse Argumente des politischen Gegners nicht einhundertprozentig wahrheitsgetreu sind. In den Massenmedien laut, bestimmt, und unbalanciert aussprechen, dass die Gründe der Telekom erstunken und erlogen sind? Dass es um reine Profitgier geht? Zum Gegenschlag ausholen, dass die Telekom ihr Netz vom Steuerzahler geschenkt bekommen hat? Fehlanzeige. Das sparen wir uns für die Rants in unseren Blogs auf, die niemand liest. IN/SIDE/IN.

Was machen wir also falsch? Wenig, denn wir machen wenig. Wir kämpfen mit den Mitteln der Zukunft für die Zukunft und lassen dabei außer Acht, dass die Politik der Gegenwart eben noch nicht mit Twitter und Blogs zu gewinnen ist. Klar müssen wir auch untereinander reden und uns Positionen erarbeiten, vertreten werden müssen sie vor allem „denen da draußen“ gegenüber. Von Menschen, die sich in den Politikbetrieb einbringen können. Entweder tun wir das selbst – und es ist ein Knochenjob – oder wir geben endlich Organisationen wie der Digitalen Gesellschaft, D64 und netzpolitik.org die nötigen Mittel an die Hand, und stellen egoistische oder parteipolitische Kurzfristziele hinter die großen Ideale zurück. IN/SIDE/OUT.

Wie viel ist uns unser (gar nicht mehr so) freies Netz wert? Unsere Datenhoheit, unsere Selbstbestimmung?

Die eigentlich mächtige Vorstellung ist die Utopie einer Gesellschaft, die mehr wie das Netz ist. Wo alle gleiche Möglichkeiten haben, wo jede sich darstellen kann, wo mensch kreativ, kollaborativ, unkommerziell an Ideen und an Artefakten arbeitet, kurz: eine bessere Welt.

Was ist uns eine bessere Zukunft wert? Und wie überzeugen wir die Gegenwart?

raised fist mouse cursor

IN/SIDE/OVER AND OUT.

6 Replies to “re:VISION! re:ACTION! – re:publica 2013”

  1. Ein paar Gedanken, die mir schon seit längerem im Kopf herum schwirren:
    Zum einen dieses ewige Imkreisdrehen der Themen. Gerade für uns, die sich permanent dem neuen, interessanten zuwenden wollen, ein Dilemma, aber wenn ich es mir genauer anschaue, dann ja doch nicht ganz so anders als das, was letztendlich alle politischen Aktivisten vereint. Die Auswirkungen der WTO sind immer noch die gleichen, Pharmapatente verhindern mehr denn je dass Menschen in armen Ländern Zugang zu günstigen HIV-Medikamenten erhalten, der Regenwald wird weiterhin brandgerodet und während die Wale sich ganz ganz langsam erholen, stirbt der Thunfisch.
    Wir müssen uns, glaube ich, endlich auf einen längerfristigen Kampf einstellen. Das mit Zensursula und ACTA war schon ganz okay, aber es hat uns eben auch erfolgsverwöhnt gemacht. So ein bisschen das Gefühl gegeben, dass wir halt einfach auf unsere Art ein bisschen Lärm machen müssen, dann wird das schon. Das macht träge und auf der anderen Seite brennt es aus. Wir brauchen, wie du schon schreibst, die Utopie, das Ziel, für dass es sich zu kämpfen lohnt, denn ständige Rückzugsgefechte machen unglaublich mürbe.

    Was das "Mit unseren Mitteln" angeht: Nun. Wir schreiben in Blogs, die Presse nimmt das auf, schreibt einen "Netzgemeinde shitstürmt gegen XY"-Artikel, dann kommt noch ein bisschen im Feuilleton nach, aber letztenendes sind es eben nicht diese Themen, um die sich die Welt dreht. Wenn der Euro irgendwo am Abgrund herumschlingert, die Mieten explodieren und Menschen noch nicht einmal genug Geld verdienen, um sich einen DSL-Anschluss zu leisten, dann ist das Leistungsschutzrecht oder auch die Drossel eben gar nicht so sehr Thema. Auch hier: Utopie. Mehr in den Kontext setzen. Begreifbar machen, warum Netzpolitik kein Nischenthema ist, sondern sich durch alle Bereiche zieht und eben keine Verhandlungsmasse mehr sein darf.

  2. @Julian Aber der Euro am Abgrund, explodierende Mieten und Armut sind ja auch keine Themen, die durchhalten. Das wird mal aufgebauscht und bringt Leser, dann gibt es aber drei Tage später das nächste Boulevard-Thema. Oder Einzelfälle wie ein Mord in Hamburg werden groß geschrieben, aber systemische Probleme, wegen derer Menschen sterben, nicht. Dafür Aufmerksamkeit zu bekommen, geht nicht durch die Medien; die Medien greifen das erst auf, wenn es schon ein Thema ist. Wir brauchen eine breite Bürgerbewegung, und dazu müssen wir mit Bürgern kommunizieren (können).

  3. @Julian: Und die meisten dieser Probleme sind „hausgemacht“. Teure AIDS-Medikamente? Zerstörung von Biotopen? Ausrottung von Tierarten? Steigende Mieten? Armut? Ich klinge jetzt viel linksradikaler als ich mich fühle, aber für all diese Probleme sind die falschen Anreize des Kapitalismus verantwortlich. Und weil wir de facto in einer Oligarchie leben, wo wenige Menschen den Großteil des Kapitals kontrollieren und damit auch Politik und Medien deutlich stärker bespielen können, ist es nochmals ungleich schwerer, das zu ändern.

  4. @moeffju: Zum ersten Punkt: jein. Klar ist es heute die Slowenien-Krise und gestern war es Zypern, davor Griechenland. Aber es betrifft Ängste, die in der Bedürfnispyramide tiefer liegen als Freie Meinungsäußerung.
    Zum Zweiten: Ja, alles ist Kapitalismus. Aber zwischen der Kampagne für Aids-Generika von den Ärzten ohne Grenzen (und vielen anderen) und unserer Kampagne für ein liberaleres Urheberrecht ist jetzt weniger als man denken möchte. Es geht Letztenendes fast überall um den Kampf gegen Oligarchie, Korruption, Konzernmacht, Lobbyeinfluss. Was aber wichtig ist, glaube ich, ist dass wir Zensursula, Acta und co als One-Hit-Wonder begreifen müssen und nicht als "Das wird schon immer so klappen". Wir sind jetzt mittendrin.

  5. Mein spontaner Gedanke zu diesem Text (und irgendwie auch seit einiger Zeit eines meiner Themen): Shitstorms und Aufregerthemen konsequent vermeiden. Nicht kommentieren, nicht mitmachen. Das sind genau die Themen, die sofort wieder untergehen und am nächsten Tag durch die nächste Belanglosigkeit ersetzt werden.

    Stattdessen sollte jeder "sein" Thema finden und konsequent-fortlaufend dafür oder dagegen arbeiten. Das hat dann zwar nicht mehr viel mit dem "Gemeinde" in "Netzgemeinde" zu tun, aber es garantiert, dass man etwas erreicht. Wenn eine Gruppe jeden Tag wild in eine andere Richtung läuft, dann kommt hingegen niemand jemals irgendwo an.

  6. Ich bin skeptisch, was die finanzielle Ressourcen betrifft. So viel Geld hat die ‘Netzgemeinde’ eben leider nicht. Aber ich glaube, Dein ‘mit den Mitteln der Zukunft’ geht in eine gute Richtung. Und das hat auch nichts mit ‘die sind noch nicht so weit’ tun. Das halte ich für anmaßend. Aber wenn die Netzöffentlichkeit wirklich Menschen für ihre Themen gewinnen will, muss sie ihren Ton ändern. Sie muss aufhören zu denken ‘Wir sind so toll, Ihr habt es nur noch nicht verstanden’.

    Mal ehrlich: So einE Mitte 40er MittelständlerIn aus Passau oder Salzgitter, soll der einen Sascha Lobo gut finden, wenn er in seiner schnoddrigen Dauer-Rant-Haltung mit seiner Frise auf SPON über Netzthemen schwadroniert uns sich dabei von einem Herzinfakrt zum nächsten jagt? Und die Meme von der Digiges, die saukomisch sind. Für uns. Aber versteht die außer uns noch jemand anders?

    Ich würde mir wünschen, dass hier das größte Umdenken stattfindet. Andere Sprache finden. Andere Formen des Adressierens, mit Symbolen und Zeichen, die auch in Passau und Salzgitter verstanden werden. Und vor allem: Wenn dieser elendige ‘Ihr seid doch alle von gestern’-Tonfall endlich verschwinden würde. Dieser elitäre ‘Wir wissen, wie die Zukunft aussieht’-Duktus. Ich würde mir auch nichts sagen lassen von einer Clique, die da in diesem Internet hockt und mich ständig als Steinzeitmenschen beleidigt.

    Ändert Eure* Haltung gegenüber denen, die noch nicht wissen, wie wunderschön dieses Internet ist. Sondern zeigt es ihnen. Begeistert sie. Berührt sie mit dem, was Euch oder uns so daran berührt. Das geht nicht mit Argumenten, sondern vor allem mit Geduld und noch mehr Geduld.

    *Anwesende ausgeschlossen

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