Nicht mein Netz

Twitter haben die Funktionsweise von Blocks verändert. Von nun an, „blocking a user does not prevent that user from following you, interacting with your Tweets, or receiving your updates in their timeline“. Warum das für Opfer von Harassment noch schlimmer ist als vorher, kann man sich – hoffentlich – denken. (Update: Die Änderung wurde rückgängig gemacht. Ändert aber nichts am Argument.) Und auch in ihrer App sind mittlerweile zwei Drittel der Funktionalität irgendwelcher Discovery-Kram, während die Interaktionsmöglichkeiten immer mehr in den Hintergrund treten.

Das ist nicht mehr mein Internet. Es ist nicht mehr unser Internet. Dieses Netz der Walled Gardens war auch nie unser Netz – wir haben es uns nur von den Ausbeutern Anbietern geliehen. Und so kann Twitter halt mal für ein paar Monate keine Links in Direktnachrichten verschickbar machen, und wir schreiben halt Leerzeichen hinter „http:“, haha, das iPhone hat ja jetzt auch Copy & Paste, nicht wahr? Und dann ändert Facebook die Privacy-Einstellungen, Google sperrt wegen falscher Namen bei Google+ gleich mal ganze Nutzerkonten, LinkedIn verliert ein paar Millionen Passwörter, die NSA hackt halt ein paar RZs statt Hunderttausende Switche und Server anzugehen, und aus Protest ändern ein paar User dann mal für ein paar Tage ihre Profilbilder, denen haben wir’s aber so richtig gegeben.

Unser Netz war im IRC, im Usenet, in unseren selbst gehosteten Blogs, vielleicht sogar in Gopher, unser Netz war in Mailboxen, im Fidonet, im Z-Netz, unser Netz war Notepad und HoTMetaL, Joe’s Own Editor und blosxom, CGI.pm und Webrings. Da war die Chance, dass jede gleichberechtigt teilnehmen konnte, und die Herausforderung, dass auch jeder zu ermöglichen. Und statt die freien, selbstverwalteten Tools und Mittel besser zugänglich und einfacher bedienbar zu machen, haben wir Plattformen gebaut statt interoperabler Systeme. Und dann – und ich bin unsicher, ob die Plattformen schon der Sündenfall waren, oder dies: – kam die Werbung, kamen die ganzen alten Geschäftsmodelle, die schon in der Offline-Welt scheiße waren, wo sich alles dieser Maschinerie unterordnete: Menschen, Beziehungen, Inhalte. Alles ist nur so viel wert, wie man in Bannern und Sponsorings herum bauen kann. Die Utopie ist vorbei, bevor sie angefangen hat.

Das Netz, ein Fall von: die Idee ist gut, aber die Welt ist nicht bereit.
Das Netz ist – leider – nur ein Abbild der Gesellschaft.

10 Replies to “Nicht mein Netz”

  1. Ich finde, Du bringst es ganz gut auf den Punkt. Für mich gab es auch ein Schlüsselereignis. Es gab mal eine Seite namens Olga: Online Guitar Archive. Es war die erste große durchsuchbare Tablatursammlung für Gitarre und Bass. Das funktionierte so, daß ein Musiker sich zu Hause hinsetzte, ein Lied transkribierte (also Töne und Noten heraushörte und aufschrieb) und dann seine Ergebnisse im Netz postete. So wurde es für jederman möglich, alle möglichen Songs nachzuspielen.
    Das ging so lange gut, bis die Musikindustrie auf diese Seite aufmerksam wurde, dann wurde sie über das Copyright aus dem Netz geklagt. Für mich ist das ein perfektes Beispiel dafür, wie Menschen mit persönlichem Einsatz gemeinsam etwas positives schaffen und es dann von den Mächten aus der alten Welt zerstört wird, damit man die alten Modelle weiter betreiben kann. Also quasi die Blaupause für die Transformation, die das Internet gerade durchläuft.
    Ich finde es allerdings nicht sinnvoll von einem Sündenfall zu sprechen. Ich denke, diese kurze Blase, die wir erleben durften, in der das Internet ein Hort der Freiheit und der Erkenntnis war, konnte nicht bestehen. Alles was wir gemacht haben, lief auf Technik, die uns nicht gehörte. Vielleicht hatten wir einen eigenen Server, aber spätestens die Kabel gehörten uns nicht mehr. Ich hatte mal euphorische Gedanken in mein Blog geschrieben, wie das Internet das von Marx beschriebene Machtgefälle zwischen jenen, die die Produktionsmittel besitzen und denen, die ihre Arbeitskraft geben, um die Produktionsmittel zu bedienen, auflöst. Z.B. bräuchte man ja lediglich einen Rechner und einen Blog um eine Zeitung zu machen können. Man benötigt keine Druckmaschine und keine Verkaufslogistik mehr. Mittlerweile hat die Realität den Traum eingeholt.

    Matthias Bauer ‏@moeffju:
    "@Spidiffpaffpuff Wie war das denn inklusiver? Alleine was die Technik kostete, vom UX ganz zu schweigen. @leitmedium"
    Ich hatte da jetzt weniger an die technische Ebene gedacht, als an die soziale. Wenn man einmal im Netz drin war (sagen wir mal so vor ca. 15 Jahren), also die technische Hürde genommen hatte, dann gab’s da eine Menge zu entdecken, wo man mitmachen konnte, wo etwas geteilt wurde, etc… Es gab damals so gut wie gar keine Seiten, deren Startseite ausschließlich aus einem Login bestand.
    Und ich denke, daß die Strukturen, die damals vorherrschten, zwar ein gewisses KnowHow benötigten, damit man sie bedienen konnte, aber dieses KnowHow wurde ja in Form von freien Tutorials oder IRC-Channels voller hilfsbereiter User gleich mitgeliefert. Dafür ließen diese Strukturen viel mehr Individualisierung zu. Es ist meiner Meinung nach ein ganz wesentlicher Aspekt von Inklusion, daß die vorherrschenden Strukturen sich auf individuelle Bedürfnisse anpassen lassen.
    Heutzutage ist es so, daß eine der großen Seiten auf die Idee kommt, kontur- und kontrastlose Layouts zum neuen Trend zu erklären und dann ziehen alle anderen Seiten mit. Wer ein Problem mit Kontur- und Kontrastlosigkeit hat, der bleibt halt auf der Strecke oder muß den nächsten Trend abwarten. Desweiteren war es früher auch schon so, daß zwar Dienste angeboten wurden, aber die liefen meiste auf Strukturen, die man dann in eigene Systeme einbinden konnte. Es gab früher tendenziell mehr Kommunikation, die über Mail lief. Dein Mailpostfach kannst Du Dir ganz individuell und so wie Du’s brauchst schneidern. Du kannst z.B. Verschlüsselung integrieren oder ein Brailleinterface oder sonstwas. Ein Dienst wie Facebook hingegen ist bemüht, daß alles was du benutzt in deren Händen und unter deren Kontrolle bleibt. Dabei bleiben die Individualisierungsmöglichkeiten auf der Strecke.

  2. @Spiff Okay, aber „sobald du die technische Hürde genommen hast“ ist schon ein ziemlich großer Schritt, weil da so viel dran hängt. Dieses Internet war denjenigen vorbehalten, die privilegiert genug waren, um:

    1. die Möglichkeit hatten, sich die notwendige Hardware zu beschaffen, also
    2. in einem Land lebten, wo sie verfügbar war, und
    3. das verfügbare Geld hatten, sie zu kaufen, und
    4. die Bildungsmöglichkeiten hatten, sie zu verwenden, und
    5. Zugangskosten tragen konnten

    und sicher noch mehr, was mir auf Anhieb nicht einfällt. Also, ja, einerseits war es inklusiver, weil im Usenet niemanden interessiert hat, welche Hautfarbe du hast oder welcher Religion du angehörst, was du „likest“ und wie viele Follower du hast – aber andererseits war das eben auch ziemlich der gebildeten Mittelschicht und den Studenten vorbehalten.

  3. Wir sind doch das Netz. Wir bauen es und pflegen es. Wir entwerfen die Algorithmen für Werbung, liefern Snippets zur einfachen Einbindung. Wir forschen an Graphen und bigdata-Analyse und sind stolz, wenn wir nen Job in einer der Firmen bekommen, die dann so handeln wie du es beschreibst. Wir arbeiten in Werbeagenturen und Redaktionen.

    Wir sind zu faul für SSL, lassen Jabber sterben, weil Google Hangouts einfacher zu nutzen sind. Wir sind arrogant im IRC und ignorieren die N00bs, die einfach mal ne Frage haben. Wir können tagelang ungefragt über OSI referieren, aber sind nicht in der Lage, im Kampf gegen Überwachung unsere internen Grabenkämpfe für einen Moment zurückzustellen.

    "Dieses Internet" sind immer noch wir. Aber wir sind nicht mehr 16 und wollen jetzt auch Geld verdienen.

  4. @moeffju Du hast schon recht, ich war ziemlich jung als ich anfing mich mit Computern zu beschäftigen und die waren wegen meines Umfeldes halt einfach da. Auf Grund meines Alters hab ich mir damals keine Gedanken um die von Dir aufgezählten Dinge gemacht.

  5. Vielen Dank für diesen Artikel. Du hast die Definition "Deines Netzes" an Protokollen und Tools festgemacht. Auch wenn diese mich seit meiner Jugend begleitet haben, sind sie es nicht, die für mich "mein Netz" beschreiben. Für mich ist dieses beschrieben durch die folgenden Stichwörter: Offene Schnittstellen, kontrolliert durch offene Communities, Kontrolle darüber, welche Informationen ich freizügig teile, handelndes Subjekt anstatt Big Data Objekt, Machen statt Konsumieren.

    Diese Privilegiendiskussion halte ich für überflüssig. Ich habe garantiert keine privilegierte Jugend genossen, sondern mir meine Teilhabe erarbeitet. Daneben hilft es nicht, sich wegen vorgebliche Privilegien zu geisseln, sondern Inklusion zu schaffen. Und sicherlich verfolgt dieses KommerzNet keine Agenda der Inklusion, sondern glaubt fest an die Ökonomie des Long-Tails. Ebenso können Mastschweine argumentieren, dass ein Mastbetrieb inklusiver ist, als ein Leben als freies Wildschwein. Schließlich haben in Mastbetrieben deutlich mehr Schweine garantierten Zugang zu Wasser, Medikamenten und hochkaloriger Nahrung als in freier Wildbahn.

  6. @Jens_Hoffmann Die Privilegiendiskussion halte ich auch nicht für zielführend, darüber nachdenken aber schon. Ansonsten sind für mich Protokolle und Tools untrennbar verbunden mit der Offenheit der Schnittstellen/Standards. Wenn der Zugang offen ist, kann ich automatisch stärker entscheiden, welche Informationen ich teile. Nicht vergessen dürfen wir aber auch: Das „alte“ Netz war pseudonym, aber nicht anonym. Ein Anruf beim ISP oder der Uni, und der Verantwortliche war üblicherweise auszumachen, wenn der Anlass entsprechend schwerwiegend war. Aber im Großen und Ganzen gebe ich dir recht.

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