Extravaganza

Ich habe endlich wieder ein Fahrrad. Noch endlicher wiederer eins, das den Namen verdient. Ich will schon ewig ein neues, aber Katalog ist nichts für mich, für Kleinanzeigen und Flohmärkte habe ich nicht die Geduld, wenn ich mich darauf zurückziehe, wird es nie was. Also ging ich Freitag Abend einfach zum Fahrradladen „nebenan“, der mir mehrfach empfohlen wurde. Dort stand ich dann knapp drei Stunden in der Sonne, während ich mich nicht zwischen zwei Rädern entscheiden konnte. Am Ende kaufte ich in einer schnellen Entscheidung das Viva Extravaganza. Die Flip-Flop-Nabe ist auf Singlespeed konfiguriert und das Rad sieht eigentlich etwas hipsterig aus, aber der Rahmen ist so schön, fuck Hipsterigkeit.

Neu und meins.

Tags darauf geht es nach Allermöhe um die Deiche kurven, per S-Bahn mit Rad festhalten, das Schloss um die Hüften gelegt. Eine kleine Tour, um ein Gefühl für die neuen Räder zu bekommen. Nach der Hälfte der Strecke, und vor allem nach dem Picknick am Elbufer, setze ich mich von der Gruppe ab und nehme einen längeren Rückweg, das Rad mal ein bisschen ausfahren. Großer Spaß, dieses Singlespeed, vorne ist nämlich eine große Übersetzung drauf. Man kommt schön schnell vom Fleck, und auch bei einer Trittfrequenz unterhalb von Kolibri kriegt man locker die 35–40 km/h hin.

Zurück aus Allermöhe nehme ich das Rad mit zum Ingress-Treffen. Wir „achtern“ die Friedenskirche in Altona, das heißt, eine Gruppe von 5–15 Nerds läuft mehrmals im Kreis und starrt dabei auf ihre Smartphones. Ich war überpünktlich da und hatte so Gelegenheit, zu bemerken, dass mein Hinterrad Luft verliert. Erst mal schrauben. Einen Telefonanruf kurz nach 20 Uhr und 15 Minuten mit Fahrrad auf der Schulter später stehe ich im Werkstattkeller des kleinen Fahrradladens und versuche, einen Kevlarstreifen in den Mantel zu kriegen. Für die Reparatur nach Ladenschluss wollte der Laden partout keine Bezahlung annehmen, außer meinen überschwänglichen Dankesbekundungen. Nach einer halben Stunde gehe ich also mit neuem Schlauch und verstärktem Mantel zurück zur Ingress-Gruppe.

Eine knappe Stunde später ist die Farm-Route abgegrast, die Gruppe entscheidet sich, zum naheliegenden Wohlerspark weiterzuziehen. Während wir diesen „begrünen“, laufen wir immer wieder im Kreis an mehreren feiernden Gruppen vorbei. Eine spielt Ethno-Pop, eine andere Jazz, Blues und Big Band. Bei der dritten läuft erst Drum’n’Bass und Dubstep, später wechselt es abrupt zu Kinderliedern und Theme Songs von Serien der 90er Jahre. Die Dubstep-Gruppe fragt, warum wir alle mit unseren Smartphones rumlaufen. Ich versuche gleichzeitig mit einer Hand mein Rad zu schieben, mit der anderen alle Portale zu hacken, und dabei im Laufen Ingress zu erklären. Es gelingt mir nur so mittelgut, immerhin wissen sie, was Geocaching ist. Noch ein paar Runden, am Ende landen wir im Wohlers Eck bei Guinness, Cider und Cola. Mit dem Plan, halbwegs zeitig heim zu kommen, verlasse ich die Gruppe nach einem Guinness.

Auf dem Rückweg will ich noch St. Johannis erobern und verlinken, da erfahre ich, dass Freunde gerade neuen Rum auf ihrer Loggia probieren, sie laden mich ein, vorbeizukommen. Ich probiere einen neuen Gin und trinke einen Gin Tonic. Ein wenig müde mache ich mich auf den Heimweg, nehme dabei noch ein paar Portale mit, inmitten der draußen feiernden Menschenmassen bin ich ein Fremdkörper und froh darüber. Und auch darüber, nicht direkt am Schulterblatt zu wohnen. Zuhause angekommen kann ich mir nicht vorstellen, zu schlafen, aber genau dieses Nachtleben ist in dem Moment auch nichts für mich. Ich lese Dune, trinke Wasser, irgendwann zwinge ich mich ins Bett und schlafe sofort ein.

Nach dem ersten Tag mit Fahrrad ist meine Handfläche wund und mein Handteller hat blaue Flecken. Mein rechter Arm und meine rechte Schulter tun weh, weil ich das Rad tragen musste. Außerdem habe ich einen leichten Sonnenbrand auf meinen Schultern und einen leichten Sonnenstich davongetragen. Das unverhoffte Bier und der noch unverhofftere Gin und Gin Tonic tun ihr übriges, die ersten paar Stunden des Tages begleitet mich ein leichter Kopfschmerz. Und unter meinen Nägeln ist Kettenöl, das ich auch so schnell nicht los werde. Nur meine Beine, die tun nicht weh.

Also fahre ich nach dem Frühstück erst mal zum Burger essen zum Grindelhof.

Ich bemerke: Die Stadt ist kleiner geworden.

2 Replies to “Extravaganza”

  1. willkommen zurück in der fahrradfahrerrealität, happy Biking 🙂

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