Ich habe ein Problem mit dem Wort „Affäre“, da ich es als abwertend empfinde. Es setzt die anderen Beteiligten einer Beziehung herab und verkennt die Realität sowie das Ideal von Beziehungen. Auf Twitter ergab sich eine längere Diskussion aus meinen Tweets (1, 2, 3); da Twitter aber nun ganz und gar nicht für kohärente, ausformulierte Diskussion zu gebrauchen ist, hier die ausführliche Version.
„Affäre“ kommt aus dem Französischen und bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch einen Skandal oder eine sexuelle Beziehung, die häufig neben einer bestehenden Partnerschaft stattfindet (Wikipedia: Affäre).
Bereits im allgemeinen Sprachgebrauch sind also deutlich negative Konnotationen vorhanden: Eine Affäre ist Aufsehen erregend, anstößig, gesellschaftlich unerwünscht und muss deshalb möglichst verheimlicht werden, um die Beteiligten keinen Sanktionen auszusetzen. Außerdem wird es so vornehmlich als Gegenentwurf zur „eigentlichen“ Partnerschaft (gemeint ist hier die klassisch-konservative monogame romantische Zweierbeziehung, im Folgenden RZB) verwendet und bestärkt diese somit als „Normalfall“, von dem unterschieden wird. Diese Abgrenzung wäre nicht nötig, wenn damit nicht auch eine Wertung vorgenommen werden würde – eine Affäre ist also irgendwie schlechter oder weniger wert als eine RZB.
Die Abgrenzung zur „festen“ Partnerschaften setzt somit auch die Existenz und Unterscheidung von „Hauptbeziehungen“ und „Nebenbeziehungen“ voraus. Damit wird ein Beziehungsmodell verfestigt, welches harte Grenzen zwischen verschiedene Ebenen von zwischenmenschlichen Beziehungen behauptet: Menschen sind entweder fremd, bekannt, befreundet, haben Sex miteinander, oder lieben sich. Auch wenn Menschen gerne und häufig in starken Schwarz-Weiß-Mustern denken, um Dinge zu klassifizieren, so sind doch die allermeisten Wahrnehmungen und Interaktionen nicht klar unterscheidbar (diskret), sondern verlaufen im Gegenteil ineinander (sie sind kontinuierlich). Behauptet oder impliziert mensch, dass es klare Abgrenzungen gibt, verkennt mensch nicht nur eine Fülle von real existierenden Spielarten von menschlichen Beziehungen, sondern trifft auch eine normierende Aussage: Wer sich nicht in diesen Schubladen wiederfindet, wird verunsichert und unsichtbar oder nicht ernstgenommen, es ist also eine Form der Diskriminierung (siehe bspw. auch: Bisexual erasure).
In den Antworten bei Twitter gab es dann häufig den Versuch, den eigenen Sprachgebrauch zu ergründen und den Begriff „Affäre“ für sich selbst zu definieren bzw. die Verwendung des Begriffs zu rechtfertigen. Häufig wurde dabei genannt, dass „Affäre“ eine „Beziehung ohne Liebe“, „körperliche Beziehung“, „ohne romantische Gefühle“, eine „Sexbeziehung“, oder eine „nur Sex, aber nicht mehr“-Beziehung beschriebe. Auch wurde oft gesagt, „Beziehung“ meine mehr Verpflichtungen, mehr Fürsorge, oder mehr Nähe als „Affäre“.
Auch das halte ich aus mehreren Gründen für problematisch. Zuallererst gibt es meiner Erfahrung nach keine Beziehungen ohne Gefühle. Menschen sind fühlende Wesen. Selbst spieltheoretische Abwägungen werden in Gefühle kodiert und den allermeisten nur als „Bauchempfinden“ bewusst. Daher behaupte ich, dass niemand Beziehungen ohne Gefühle hat.
Aus den anderen Antworten ergibt sich aber, dass mit „ohne Gefühle“ wohl häufig „Sex, aber keine Liebe“ oder „Sex und nicht mehr“ gemeint ist. Hier wird vorausgesetzt, dass es eine strikte Ordnung von Beziehungsformen gibt und dass Sex weniger wert ist als Liebe. Außerdem schwingt mit, dass mensch für solche Beziehungen weniger oder gar keine Verantwortung übernehmen müsse. Beides halte ich für falsch und diskriminierend: Auch hier verkennt die strikte Folge implizit die Lebensrealität vieler Menschen und es werden Werturteile über bestimmte Beziehungsformen getroffen. Schließlich finde ich die Implikation, solche Beziehungen brauchten weniger Verantwortung, im Hinblick auf die Moral der Fürsorge verwerflich und gefährlich. Das Konzept „Beziehung ohne Gefühle“ halte ich insgesamt für stark kritikwürdig.
Ich behaupte (und lebe danach), dass alle Beziehungen, die Menschen miteinander haben, auf Liebe basieren, und nehme es in Kauf, dafür als Hippie bezeichnet zu werden. Ich lehne es ab, Beziehungen in Schubladen zu stecken und treffe keine diskrete Unterscheidung zwischen Bekannten, Freunden und Geliebten. Meine eigene Lebenserfahrung und die Beobachtungen in meinem Umfeld haben mich stark davon überzeugt, dass alle diese Interaktionen in einem Kontinuum von Liebe liegen. Beginnt mensch, willkürliche Grenzen zu ziehen, blendet mensch damit alles aus, was nicht explizit bedacht wird; die Vielfältigkeit von Beziehungen garantiert, dass dabei Dinge unter den Tisch fallen. Schließlich denke ich, die Welt könnte mehr Fürsorglichkeit und Verantwortung gebrauchen.
Daher bitte ich alle Leser_innen: Hinterfragt euren Sprachgebrauch und eure Grundannahmen. Und konkret zumindest: Überdenkt eure Nutzung des Wortes „Affäre“.
Dass alle Beziehungen auf einer Form von Zuneigung — das kann man natürlich Liebe nennen — beruhen, ist übrigens eine der einleuchtenden Grundthesen in The Ethical Slut.
Interessant finde ich außerdem, dass es der Soziologie sehr schwer fällt, trennscharf zwischen Freundschafts- und Liebesbeziehungen. Ich glaube, das sollte man normativ verstehen.
Jeder Begriff, der zwischenmenschliche Beziehungen sinnvoll beschreibt, wird immer ein Kontinuum abdecken, und keine perfekte Trennschärfe und punkt-genaue Definition haben. So auch Affäre. Das ändert wenig daran, dass es für die eigene Reflektion und insbesondere die Kommunikation recht hilfreich ist sich auch mal kurzfassen zu können.
Und genauso wird jeder Beziehungsbegriff subjektive Komponenten haben. Insofern ist es völlig erwartbar, dass Menschen (mich eingeschlossen) "Affäre" anders verstehen und verwenden als Du. Das ist meistens unproblematisch; außer, die Unterschiede sind tatsächlich relevant für die jeweilige Interaktion. Dann sollte man genauer hinschauen. (Darin unterscheidet sich "Affäre" nicht wesentlich davon, über Farben zu sprechen – bis man das Wohnzimmer streichen will.)
Ebenso wandeln sich Begriffe im Laufe der Zeit und werden schon immer nicht nur subjektiv, sondern auch in unterschiedlichen Milieus unterschiedlich verwendet. Und Wikipedia als gut recherchierte Quelle ist, äh, auch sehr subjektiv.
Das Beziehungen sich unterscheiden – in vielerlei Dimensionen, von sexueller Anziehung, Dauer, gegenseitiger Einbindung in den Alltag, Romantik, Liebe, Häufigkeit, Formalisierung, Offenheit, Dynamik, Zuneigung, gegenseitige Gefühle, Bandbreite, … – ist ebenfalls offensichtlich. Und für einen Bereich passt dafür bei mir (und anscheinend auch bei anderen) das Wort "Affäre" einigermaßen gut. (Es ist, glaube ich, gerade nicht relevant, wie ich den Bereich beschreiben würde.)
Ich hatte und habe Affären, die mein Leben sehr bereicher(ten). Ich kann das Wort verwenden, ohne deswegen "harte" Abgrenzungen zu postulieren. Ich kann ertragen, dass solche Beschreibungen unscharf sein müssen, um verwendbar zu sein. "The map is not the terrain", und es verändert sich beides ständig. Was gestern Affäre war ist morgen vielleicht eine Partnerschaft für mich.
Eine Auf- oder Abwertung sehe ich damit nicht; ich glaube, das ist tatsächlich vor allem im Kopf. Ebenso kann ich nicht viel damit anfangen, sich vor Beschreibungen zu fürchten, nur weil sie Dinge beschreiben.
Als monogamer Familienvater habe ich bei Affäre ja an etwas ganz anderes gedacht. Die erste Affäre, die ich beklagt hätte, war die Affäre Möllemann, und seitdem ist es in den Totholzmedien üblich geworden, eine Affäre, einen Skandal, eine Debatte heraufzubeschwören, sobald zu einem Thema mehr als zwei Artikel geschrieben wurden. Egal ob jemand außerhalb dieser Medien das Thema als skandalös wahrnimmt, egal ob jemand anders als der Redakteur an der Debatte teilnimmt. Das ist für mich eine Affäre.
Affäre als Wort stört mich an sich nicht, aber ich denke es ist eben ein Wort, das gerne von Menschen benutzt wird, deren Horizont nicht weiter als "klassische Zweierbeziehung" reicht, und die Angst vor irgendeiner Form von Commitment haben.
Aber diese Art von Mensch vergisst eben auch gerne, dass wir immer ein Stück weit Verantwortung für diejenigen tragen, mit denen wir interagieren, egal ob emotional, sexuell oder beides.
Letzten Endes liegt die wahre Kunst vermutlich wieder einmal darin, auf die Meinung anderer nicht zu viel zu geben und sich eigene Definitionen auszudenken – oder es eben auch ganz sein zu lassen.
Ich finde Definitionen hilfreich, aber das ändert nichts daran, dass ich meinen besten Freund wohl mehr liebe als Menschen, mit denen ich Sex habe.
Ich liebe übrigens Deinen Satz über die Basis von allen Beziehungen, die Liebe.
Warum haben so viele Menschen so viel Angst vor dem Wort?