Own your data

Google stellt Reader ein, das Geschrei ist groß, aber neben Petitionen hat es auch (mal wieder) eine Diskussion darüber ausgelöst, in wessen und in welche Abhängigkeiten man sich begibt, wenn man Dienstleistungen von Drittanbietern nutzt. Besonders dann, wenn man für diese Dienste nicht zahlt, und diese Dienstanbieter lieber proprietäre (wenn auch mehr oder minder offene) APIs anbieten als standardisierte Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Denn Google stellt ja nicht nur Reader ein, den man noch relativ leicht ersetzen kann, sondern auch die Reader API, und außerdem beispielsweise CalDAV, das Standardprotokoll für den Zugriff auf Kalender, sowie ActiveSync und einige andere Dienste. Und dann schmeißen sie auch noch ganz kühn AdBlock Plus aus dem Android Play Store. Zeit, sich ein paar Fragen zu stellen.

Die wichtige Frage lautet: Wie abhängig bin ich von dem guten Willen irgendwelcher Firmen, Vereine oder Personen in meinem digitalen Leben? Beziehungsweise, ehrlicher gefragt: Wie abhängig habe ich mich gemacht?

  • Nutze ich eine @gmail.com-Adresse, bin ich von Google abhängig. Nutze ich Gmail mit einer eigenen Domain, und kommuniziere die @gmail.com-Adresse nicht, kann ich mit vertretbarem Aufwand aus der Abhängigkeit herauskommen. Nutze ich eine eigene Domain und leite die Mails nur an Gmail weiter, ist meine Abhängigkeit noch geringer.

  • Wenn meine genutzten Tools auf offenen Standards aufsetzen, kann ich meine Datenprovider sehr viel einfacher wechseln, als wenn ich proprietäre APIs nutze. So kann ich zum Beispiel ein Blog, das AtomPub/Atom spricht, mit fast beliebiger Software bespielen. Nutze ich hingegen die Tumblr-API, bin ich exakt auf Tumblr angewiesen.

  • Habe ich eine Kopie meiner Daten in meiner Verfügungsgewalt? Was wäre, wenn Google morgen ihre Dienste einstellt – ist mein Kalender verloren? Meine Mails? Meine Musik? Oder würden mir nur einfache, schnelle Zugriffsmöglichkeiten abgehen, die ich aber mehr oder weniger leicht ersetzen könnte? Mein Google Calendar synchronisiert z.B. mit meinem Android-Phone, aber auch mit meinem iCal. Ein Shutdown von Google Calendar wäre unschön und nervig, aber kein Weltuntergang. Meine Musik liegt bei Google Play Music, aber auch im Amazon Arsch Player, bei iTunes Match und natürlich auf meinen Festplatten.

  • Kann ich meine genutzte Software ggf. selbst (weiter) betreiben, oder gibt es freie Alternativen, auf die ich umsteigen könnte? Gerade sprießen die RSS-Reader aus dem Boden, Webmail-Clients gibt es auch eine Menge (wenn auch kein mir bekannter Webmail-Client in Nutzbarkeit und Geschwindigkeit an Gmail heran kommt), aber zu einem Umstieg gehört mehr als ein Schulterzucken und ein Tab Switch. Je früher man sich Gedanken über Alternativen macht (und vor allem: den Voraussetzungen, um diese nutzen zu können!), desto besser ist man im Falle eines Falles dran. Ein eigener Server (z.B. virtuell; VPS) und Grundlagen der Unix-Benutzung reichen häufig schon aus, um sich z.B. einen eigenen webbasierten RSS-Reader zu installieren, oder ein eigenes Blog, etc. Das sind Kulturtechniken, denen man sich auf eigenes Risiko verwehrt.

  • Gehören mir meine Inhalte? Selbst wenn die Lizenz oder die AGB dergleichen versprechen – nur wenn ich meine Inhalte auch technisch einfach extrahieren kann, um sie weiter zu verarbeiten, gehören meine Inhalte auch weiterhin mir. Twitter bot lange keine Möglichkeit, länger zurückliegende Tweets zu extrahieren (mittlerweile gibt es ein „Archiv“-Tool, das minimal besser als nichts ist), auf Facebook streuen wir Daten mit der groben Schrotflinte, dann sind da noch Google+, diverse Foren, Webchats und so weiter. Die Großen bieten mittlerweile durchgehend relativ einfache Möglichkeiten zur Befreiung der eigenen Daten, aber im Internet gibt es einen Long Tail, der seinem Namen alle Ehre macht.

  • Gehört mir meine Identität im Netz? Ich bin unter meinem Nickname moeffju bekannt, ranke aber auch mit meinem Allerweltsnamen Matthias Bauer weit oben bei Google. Wenn meine Twitter- oder Facebook-Identität wegfallen, habe ich immer noch meinen eigenen Webspace auf meinem eigenen Server mit meinen eigenen Domains. Unpraktisch natürlich ohne Twitter oder Facebook, aber erträglich, und vor allem: möglich. Mein Blog ist außerdem immer noch mein OpenID-Provider für diverse Seiten; am liebsten würde ich alle „Login with …“-Buttons loswerden, da sie dem Kontrollverlust Vorschub leisten.

Jeder sollte diese Gelegenheit nutzen und reflektieren, von welchen Diensten und/oder Dienstleistern man sich bzw. Aspekte von sich abhängig macht. Ich will nicht päpstlicher sein als Nils und niemanden zwingen, jetzt, sofort Stallman’s vision von freier Liebe Software 100% umzusetzen, aber man sollte schon wissen, wo man seine Daten und seine Identität hinein gießt, und was man denn täte, wenn solche externen Einflüsse wegfielen.

Wer keine Übersicht über seine Daten hat, ist Spielball des (Daten-)Marktes.

Wer keine Kontrolle über seine Dienste hat, wird von seinen Diensten kontrolliert.

Wer seine Daten nicht beherrscht, wird von ihnen beherrscht.

8 Replies to “Own your data”

  1. @erlehmann: Leider nicht. AtomPub hat auch nie richtig abgehoben. Die Leute stiegen höchstens von RSS- zu Atom-Feeds um, aber haben sich sonst nicht groß um irgendwas geschert. RSS und metaWeblog und Co. waren ja gut genug.

  2. Was die Einstiegshürde erhöht: Die Kontrolle über die eigenen Daten werden auch an einem eigenen Server und einer eigenen Domain festgemacht. Diese sind landsläufig eher mit einer Klarnamennutzung verbunden. Viele wollen sich aber erstmal anonym ausprobieren und später dann erst mit ihrer Netzidentität zusammenwachsen (oder sie wegwerfen). Die Kontrolle über die Netzidentität muss so nachträglich draufgesetzt werden, wenn man sich wirklich sicher ist, dass man sie auch mit seinem Eiweißnamen verbinden mag.

  3. Eines der Hauptprobleme ist denke ich, dass der Mensch einfach nicht für dieses diffuse Gefühl gemacht ist. Die Daten, die wir "besitzen" (?!), wollen wir wie physischen Besitz behandeln bzw. behandelt wissen. Das ist der Grund, warum wieder mehr Menschen den Haptiker in sich entdecken und Vinyls im Schrank stehen haben wollen als MP3s in der Cloud. Man braucht also gar kein Datenkrakenparanoiker sein, um für einen sparsamen und auf Übersicht ausgerichteten Umgang mit Diensten und dem, was man im Web hinterlässt zu plädieren – das legitimiert sich schon aus psychologischen Gründen. Ich mache doch nichts um mir künstlich vermeidbares Unbehagen zu bereiten.

  4. Das ist das Schòne am Internet. Wenn Google oder sonstwer irgendetwas einstellt, gibt es fast sofort Nachfolger, zu denen man migrieren kann. Ich find das nicht tragisch. Es wird bald einen Dienst geben, der 1:1 wie der Google Reader aussieht und das Gleiche kann. Wenn die Nachfrage da ist, gibt es auch einen Anbieter.

    Ähnlich bei Gmail oder dem Kalender. Wenn die das zumachen, geh ich woanders hin. So what? 🙂

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