Es klüngelt

Martin Dörmann, der für die SPD die Verhandlungen mit der CDU geführt hat, und uns, der “Netzgemeinde”, mehrfach versichert hat, unsere “Bedenken und Anregungen sehr ernst” zu nehmen, hat, so scheint es, statt dessen hintenrum mit der CDU geklüngelt, und man hat sich – undemokratisch, will sagen, “unbürokratisch” – geeinigt. Damit liegt es sehr nahe, dass das “Gesetz zur Bekämpfung der …” – was sag ich, das Netzsperrengesetz – mit minimalen Veränderungen am Donnerstag in der 2./3. Lesung beschlossen wird.

Auf dem SPD-Bundesparteitag wurde indes der Initiativantrag von Björn Böhning, Franziska Drohsel und Jan Mönikes zum Thema erst vom Parteivorstand “überarbeitet” und dann – inklusive Wortmeldung vor Ort – übergangen. Die Diskussion war nicht gewünscht, wegen der potentiellen Medienwirkung. Hintenrum hörte man, dass man sich über die Berichterstattung der BILD sorgte – die hatte Tags zuvor nämlich Björn Böhning zum “Verlierer des Tages” erklärt (und damit auch halb Twitter). Der Antrag stellte nämlich das in Frage, was Martin Dörmann und Dr. Martina Krogmann ausgehandelt hatten.

Übrigens: Frau Krogmann ist mit dem stellvertretenden Chefredakteur der BILD-Zeitung verheiratet.

Ist aber vermutlich besser so. Sonst wäre man am Ende gar

[…] Gefahr gelaufen, Straftaten im Internet Vorschub zu leisten, von der Vergewaltigung und Erniedrigung kleiner Kinder bis hin zu Urheberrechtsverletzungen in breitestem Ausmaß gegenüber Künstlern und Kreativen. (Quelle)

Und Urheberrechte verletzen, das will man ja nun wirklich nicht.

Mehr dazu:

Bestätigt: netzpolitik.org, Alvar Freude, eigene Quellen

Aufgeräumt: History-Leaks (nebenbei)

Seit geraumer Zeit geistern immer mal wieder Links zu Seiten herum, die die History der besuchten Webseiten auslesen. Mal mittels JavaScript, mal ohne. Momentan ist making-the-web recht frisch. Daher, damit nicht immer wieder selbe Panik aufkommt und ich immer wieder die selbe Argumentation führen muss:

  • Ja, die History kann in gewissem Maße ausgelesen werden.
  • JavaScript ist dafür nicht nötig.
  • CSS schon.
  • Es kann nur ausgelesen werden, was auch vorhanden ist. Wer seine History auf 7 Tage begrenzt, bei dem sind auch maximal 7 Tage ‘auslesbar’.
  • Es können nur exakte Treffer ausgelesen werden.

Das Verfahren sieht so aus: Die Seite fragt den Browser, ‘wurde die URL bereits besucht?’ – volle URLs, wohlgemerkt! Wenn man also nur eine Unterseite von Slashdot, Heise, oder meinetwegen YouPorn aufgerufen hat, und die Ausleseseite nur nach ‘http://slashdot.org/’, ‘http://www.heise.de/’ oder eben ‘http://www.youporn.com/’ fragt, dann wird der Besuch nicht erkannt. Das bedeutet außerdem: Um das Surfverhalten breit genug zu erfassen, braucht man eine sehr, sehr lange Liste mit Adressen und ausreichend Zeit.

Also – seid euch bewusst, welche Daten gespeichert sind und wie sie genutzt (oder missbraucht) werden können. Panik jedoch ist unangebracht.

Verlierer des Tages: Wir alle

“Verlierer des Tages” bei der BILD ist heute:

Der Sprecher der SPD-Linken, Björn Böhning (31), will den Gesetzentwurf der Großen Koalition zur Sperrung von Kinderporno-Seiten im Internet zu Fall bringen. Der Entwurf sieht vor, dass solche Websites durch Stoppschilder gekennzeichnet werden. Wer sie trotzdem aufruft, wird strafrechtlich verfolgt. Für Böhning ist das laut „Spiegel Online“ nur „Alibi-Politik“.

BILD meint: Stoppt Böhning!

Das muss dieser Journalismus sein, von dem man so viel hört, und den Blogs bedrohen, weil sie so undifferenziert sind und einseitige polemische Schnellschüsse ohne Recherche abfeuern.

Und wenn ihr auch Verlierer des Tages seid, findet ihr hier fertige Avatare und Vorlagen für GIMP und Photoshop.

Legislative Lachnummer

Bitte, sprecht so viele Leute wie möglich persönlich an, die Petition zu unterzeichnen!

Die technischen Möglichkeiten zu Web-Blockaden würden durch die großen Zugangsanbieter “auf jeden Fall aufgebaut”, verwies der Sozialdemokrat auf die entsprechenden Verträge mit dem BKA. Es sei zwar zweifelhaft, ob diese auf Drängen von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zustande gekommenen Vereinbarungen den rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Doch eine mögliche gerichtliche Überprüfung könne Jahre in Anspruch nehmen. Daher sei das Gesetz nötig, um die Sperren zumindest in geordnete rechtliche Bahnen zu bringen.

So zitiert der Heise Newsticker Martin Dörmann, SPD. Und man möchte kotzen.

So führe das Familienministerium derzeit etwa Gespräche mit den Initiatoren der bereits von über 113.000 Surfern unterzeichneten Bundestagspetition gegen das Sperrvorhaben, erläuterte Hoofe gegenüber heise online. Diese würden freilich nichts mehr daran ändern, dass der Gesetzesentwurf schon kommende Woche vom Bundestag beschlossen werden solle. (Quelle)

Erst nötigt man die Internet-Provider dazu, Verträge ohne Rechtsgrundlage mit dem BKA abzuschließen, was diese “unter Bauchschmerzen” und größtem politischen Druck auch tun. Und jetzt hilft die SPD, ein Gesetz durchzuprügeln, was von fast 120.000 Bürgern, einigen Organisationen, einem Haufen Sachverständiger, und den meisten Experten für falsch, schädlich, gefährlich gehalten wird?

Auf die schweren weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken, die Experten bei einer Anhörung im Bundestag vorgebracht hatten, wollen CDU/CSU und SPD demnach offenbar nicht eingehen. (Quelle)

Die Verträge wurden u.a. mit dem Versprechen erwirkt, dass bald ein Gesetz folge. Jetzt wird umgekehrt das Gesetz durchgeboxt, weil man ja schon Verträge habe, und die doch bitte legitimiert werden müssen. Nachträglich!

Mit dem Reizzentrum muss ich fragen:

  • Funktioniert die Selbstkontrolle des Parlaments noch?
  • Gibt es in diesem Staat noch eine rechtsstaatliche Instanz außerhalb des Bundesverfassungsgerichts?
  • Wie kann man bei Politikern diesen Schlages überhaupt noch irgendwen wählen?

Es ist widerlich.